telepolis, 15.08.2004

Jörg Auf dem Hövel - http://www.joergo.de/index.htm

Interview mit Günter Amendt, Experte für Drogenökonomie und Drogenpolitik, über Doping, die Pharmakologisierung des Alltags und das Scheitern der Prohibition

Auszug

(...)

Günter Amendt:

Die These von der Pharmakologisierung des Alltags stützt sich auf allgemein zugängliche Quellen, wie die Geschäftsberichte der Pharmaindustrie, die Berichterstattung der Wirtschaftspresse und den jährlichen Report des Suchtstoffkontrollrates der Vereinten Nationen, der für diese Entwicklung, die leichtfertige Verschreibungspraxis der Ärzte und die Parallelproduktion der Pharmaindustrie zur Belieferung des illegalen Marktes verantwortlich macht. Das im Detail darzustellen, würde den Rahmen eines Interviews sprengen. Hinzu kommt, dass der Medikamentenhandel sich zunehmend in der Grauzone von Legalität und Illegalität abspielt. Denken Sie nur an den Handel im beziehungsweise über das Internet, wo Viagra der Renner ist. Viele Vertreter der Pharmabranche geben unumwunden zu, dass sie daran arbeiten, bestimmte Stoffe vom Image eines Medikamentes zu befreien und unter dem großen Dach des Life-Style-Segments zu vereinen. Das beginnt bei der Vitaminpille und führt zur Raucherentwöhnungspille, der Verhütungspille vor und nach dem Geschlechtsverkehr, der Entfettungspille, der Potenzpille und endet bei angstlösenden Pillen und Antidepressiva. Hinzu kommt die breite Palette der Anti-Aging-Produkte. In einer Analyse des Pharmamarktes bescheinigt das Wirtschaftsmagazin "Capital" den Life-Style-Produkten ein "sicheres Wachstum". Lag der Umsatz im Jahr 2000 noch bei 19,5 Milliarden Dollar, so sei für 2010 mit einem Umsatz von 41 Milliarden Dollar zu rechnen.

Der chemisch optimierbare Mensch

Was sind die Konsequenzen der Ausweitung dieser Pillenzone? Was spricht dagegen, dass sich Menschen mit geeigneten Mitteln Alltag oder Freizeit gestalten? Das gab es doch schon immer.

Günter Amendt:
Dagegen spricht, dass viele Pillen nicht die Wirkung zeigen, die sie versprechen, dass sie Nebenwirkungen haben, die nicht tragbar sind, und dass sie über ein Suchtpotential verfügen, welches die Konsumenten abhängig macht. Darüber hinaus hat die Ausweitung der Pillenzone eine gesellschaftliche Dimension, die man nicht vernachlässigen sollte. Wenn Heranwachsende schon in frühester Kindheit daran gewöhnt werden, alle körperlichen und psychischen Probleme mit Hilfe einer Pille zu regeln, wird das Hirn so programmiert, dass die Fähigkeit, Probleme aus sich heraus zu lösen, verloren geht. Eine Jugendbefragung in Luxemburg hat herausgefunden, dass die Bereitschaft, illegale Substanzen wie Ecstasy und andere sogenannte Partydrogen zu schlucken, um so größer ist, je mehr Vorerfahrung die Betreffenden mit Pillen und Tabletten in ihrer Kindheit hatten. Der routinierte Griff zur Pille schließt die Bereitschaft ein, sich mit der Bekämpfung von Symptomen zu begnügen, und nach den Ursachen der Müdigkeit, des Stresses, der Antriebslosigkeit, des Schmerzes, der Traurigkeit, der Angst und der Depressivität nicht mehr zu fragen. Das führt zu einem Verlust aller gesellschaftlichen und politischen Bezüge.
Ich kann mich auch hier nur wiederholen: "Die schrankenlose Pharmakologisierung des Alltags führt dazu, dass wir den Menschen nicht mehr als soziales, sondern als manipulierbares und chemisch optimierbares Wesen wahrnehmen." Wem das keine Probleme bereitet, der ist bei den Sozialingenieuren der Pharmaindustrie gut aufgehoben.

In welcher Hinsicht hängen das ungebändigte Doping im Sport, die fortschreitende Pharmakologisierung des Alltags und der vehemente Pilleneinwurf der "Raving Society" zusammen?

Günter Amendt:
Den übermäßigen Konsum von Amphetamin und Amphetaminderivaten, wie des in der Raver-Szene so beliebten MDMA, habe ich schon immer als eine Form von Alltagsdoping verstanden. Insofern besteht da ein Zusammenhang. Die außerordentlichen körperlichen Leistungen, die sich ein hard-core Raver zumutet, verlangen nach einem Antriebsmittel. Freizeit ist Arbeitszeit, wobei der Energieverbrauch im Freizeitsektor oft weit über dem im Berufs- und Schulalltag liegt.

Die Raver-Generation der 90er Jahre hat die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins eliminiert

Die "psychedelische Bewegung" der 90er sah - wie Teile der 68er-Generation - den "Weg nach Innen" als die erfolgversprechende Variante zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse an. War das ein Trugschluss?

Günter Amendt:
Es ist durchaus nicht abwegig, die 60er Jahre als das Jahrzehnt der Drogen zu bezeichnen. Doch anders als der öffentliche Diskurs glauben machen will, waren nicht Haschisch, Marihuana und LSD die damals bestimmenden Drogen, es war die Einführung von Valium und artverwandten Stoffe, die alle auf die Beeinflussung des Zentralnervensystems zielen, welche die 60er Jahre zu einem Drogenjahrzehnt machten. Was die 68er Generation betrifft, so gab es drei Strömungen in der Drogenfrage. Große Teile der Linken lehnten jeden Gebrauch von Drogen rundweg ab - dabei ging es vorwiegend um Cannabis und natürlich nicht um Alkohol. Unter den Drogenbefürwortern waren solche, die synthetische Drogen grundsätzlich ablehnten und solche, die für deren Gebrauch eintraten - dabei ging es vor allem um LSD und andere Trips. In der politisierten LSD- und Kifferszene war der Gedanke populär, mit Hilfe von drogenindizierter Bewusstseinsveränderung oder gar Bewusstseinserweiterung gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Ich persönlich habe davon nie viel gehalten. Es ist jedoch unbestreitbar, dass sich die kollektive Drogenerfahrung jener Jahre in der Wahrnehmung der Gesellschaft niedergeschlagen hat. Ein Beispiel ist die veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Mensch und Natur, die wiederum Rückwirkungen hatte auf das sich in den 70er Jahren entwickelnde ökologische Bewusstsein. Zwischen der 90er Jahre Partyszene und der 68er Szene sehe ich nur wenige Gemeinsamkeiten. So viel ist aber sicher, die Raver-Generation der 90er Jahre hat es geschafft, unter den Jungen von heute die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins, das sich in den 70er Jahren herausgebildet hatte, zu eliminieren.

Aber auch unter den jungen Drogennutzern gibt es doch den Trend "Zurück zur Natur". Ephedra statt Ecstasy, Coffein anstelle von Speed, lieber Kiffen als Koksen und Psilos seien besser als LSD. Was ist davon zu halten?

Günter Amendt:
Auch ich habe diesen Trend registriert und interpretiere ihn als Abwehrreflex auf das, worum es in diesem Interview unter anderem geht - die schleichende Pharmakologisierung des Alltags. Diesem "Zurück zur Natur" liegt die Erfahrung zugrunde, dass Drogen besser beherrschbar - sprich: besser dosierbar - sind, deren Rauschwirkung einzig auf dem Wirkstoffgehalt der Pflanze beziehungsweise auf einem Gärungs- und Fermentierungsprozess beruht. Schon vor Jahren bin ich in den Wäldern Nordkaliforniens auf eine Gruppe von Hippies gestoßen, die ihr Interesse an Rauschsubstanzen in Einklang mit ihrem ökologischen Bewusstsein zu bringen versuchten und deshalb alles Synthetische vehement ablehnten. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Drogenkonsumentinnen und Konsumenten, handelt es sich hierbei jedoch um eine kleine Minderheit ökobewusster User. Hinzuzufügen wäre, dass auch der Konsum von psychoaktiven Pilzen und anderen Naturdrogen Risiken beinhaltet, die zu verringern Erfahrungswissen und die Bereitschaft sich zu informieren erfordert.

Der "Krieg gegen die Drogen"

Sie haben sich jetzt über 30 Jahre mit Drogen und Drogenpolitik beschäftigt und die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Prohibition erforscht. Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie lange Deutschland und wie lange andere Länder noch am Dogma des Drogenverbots festhalten werden?

Günter Amendt:
Das Ausmaß der Irrationalität in der drogenpolitischen Auseinandersetzung ist bedrückend. In meinem Buch habe ich Vorschläge gemacht, wie das so genannte Drogenproblem zu entschärfen wäre. Mit meinen Vorschlägen stehe ich im Kreis der internationalen Drogenfachleute nicht alleine. Auch bin ich davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den meisten westeuropäischen Staaten einen drogenpolitischen Kurswechsel mittragen würde, etwa in der Frage der Cannabis-Legalisierung. Das Problem ist die Politik. Die Zeichen stehen auf Kontrolle und Repression. Große Teile der politischen Klasse bis tief hinein in die Sozialdemokratie will sich diesen Repressionsknüppel nicht aus der Hand nehmen lassen. Drogen sind noch immer ein hoch emotionalisierendes Thema. Mit dem Angstpotential, das dem Thema innewohnt, lässt es sich politisch gut spielen. Doch die Hauptverantwortung für die herrschende Drogenpolitik, die ich für eine der gravierendsten Fehlentwicklungen des Globalisierungsprozesses halte, trägt die US-Regierung, egal welche Partei gerade den Präsidenten stellt. Drogenpolitik ist ein Instrument der US-amerikanischen Außenpolitik, der "war on drugs" ein Übungs- und Rekrutierungsfeld der US-Geheimdienste. Voraussetzung für einen Kurswechsel wäre das Eingeständnis, dass der mit terroristischen Mitteln geführte "war on drugs" gescheitert ist, soweit es um den Kampf gegen Drogen geht. Doch es geht eben um mehr. Es geht um die Sicherung von Einflusssphären, die militärische Kontrolle von Unruhegebieten, die Sicherung von Ölbohrstellen und von Verkehrsverbindungen. Das alles im Namen des "war on drugs". Solange die in der UN versammelte Weltöffentlichkeit diesen Krieg aktiv mitträgt oder teilnahmslos geschehen lässt, wird das Prohibitionstabu, aus dem dieser Krieg seine Legitimation bezieht, nicht angetastet werden. Darauf wird man noch lange warten müssen.

Literatur:
Günter Amendt:: No Drugs. No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Aktualisierte Neuausgabe 2004. 207 Seiten plus 48-seitige Beilage, Frankfurt a.M.: 2001, 15,90 EUR.

* Nachtrag 15. März 2011: Günther Amendt verstarb am Samstag, dem 12.3.2011, bei einem Autounfall in Hamburg Eppendorf. Damit fehlt eine der wichtigsten Stimmen für eine genauso vernünftige wie menschliche Drogenpolitik. Amendt war scheu und zugleich im persönlichen Umgang von ausgesprochener Herzlichkeit, immer an der Sache interessiert, den Blick auf das Ganze gerichtet, nämlich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse, in denen Drogen und Medikamente konsumiert werden. Er nahm eine einmalige Stellung ein, nie zu nah an den Apologeten eines übermäßigen Konsums, die von globalen Drogenkultur reden, aber das irre Zuballern der vereledeten Randgruppen gerne übersehen. Und ein überzeugter Gegner einer Drogenverbotspolitik, die alles nur noch schlimmer macht. Mit Amendt ist ein Mann mit profunden Wissen aus dem Leben gerissen worden. Es ist nicht zu sehen, wie diese Lücke wissenschaftlich und menschlich geschlossen werden kann.

 

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